Am 25. und 26. Oktober trafen sich Vertreter*innen der fünf gastgebenden Institutionen* mit Fachkräften aus Schulen, Universitäten, Stiftungen, Sportbünden, Fachverbänden und Sportpolitik. Deren gemeinsame Verantwortung im Interesse der Heranwachsenden ist es, optimale Rahmenbedingungen für ein bewegungs- und sportbetontes Leben bis hin zur Verwirklichung von Leistungssportkarrieren zu schaffen.
„Die verschiedenen Akteure im Sport haben jeweils ihre eigene Perspektive auf den Kontext Leistung, Sport und Aufwachsen entwickelt. Daraus ergeben sich unterschiedliche Zielsetzungen, Erwartungen und Anforderungen“, erklärt Martin Schönwandt, Vorstandsvorsitzender der DSSS. Im Fachgespräch wurden die vielfältigen Perspektiven beleuchtet, mit dem Ziel, künftig ein besser aufeinander abgestimmtes Handeln der Akteure zu ermöglichen.
Als gemeinsame Basis verständigten sich die Teilnehmenden auf folgende, von Prof. Ralf Erdmann stammende Definition: „Mit dem Begriff der Leistung wird die Bewältigung einer Aufgabe und damit das Ergebnis eines Handlungsprozesses bezeichnet, das absichtsvoll und durch individuelle Fähigkeiten und Anstrengungen erreicht wird. Eine Leistung wird zudem anhand eines Kriteriums beurteilt.“**
In einer lebhaft geführten Diskussion wurde allerdings deutlich, dass diese allgemeingültige Definition des Leistungsbegriffs sehr unterschiedlich ausdifferenziert wird, je nach dem, in welchem Bezugssystem die Leistung erbracht wird. Die Kriterien, anhand derer Leistung beurteilt wird, divergieren dabei deutlich. Im Nachwuchsleistungssport liegt der Fokus auf der Entwicklung der sportlichen Leistung, die sich aus einer Vielzahl verschiedener Leistungsvoraussetzungen zusammensetzt. Sichtbares Ergebnis dieses Entwicklungsprozesses ist die (komplexe) Wettkampfleistung. Im Sportunterricht werden eine Vielzahl weiterer Kriterien in die Leistungsbewertung mit einbezogen, wie Prof. Dr. Stefan Meier von der Universität Wien ausführte. Aus sportpädagogischer Perspektive kommen dabei motorische, soziale, emotionale und kognitive Aspekte zum Tragen. Im Sportunterricht gehe es um Erziehung und Bildung, so der Wissenschaftler. Man müsse Kindern und Jugendlichen, die sehr unterschiedliche körperliche Voraussetzungen in das Setting Schulsport mitbrächten, die Möglichkeit geben, sich als leistendes Individuum zu erfahren, und diese Leistung anerkennen.
Ist Schule in der Lage, Sporttalente zu finden? Ja, aber…
Die Ausführungen lösten eine Debatte darüber aus, ob über den Sportunterricht Impulse für den Nachwuchsleistungssport überhaupt möglich sind.
Nach Überzeugung von Michael Fahlenbock, dem Präsidenten des Deutschen Sportlehrerverbandes, ist dies der Fall: „Sportlehrkräfte, wenn sie denn qualifiziert sind, schicken leistungs- und handlungsfähige Schüler*innen in die Sportvereine. Dieses System funktioniert.“ Gleichwohl räumte der Pädagoge ein, es gäbe es zu wenig qualifizierte Lehrkräfte, insbesondere im Grundschulbereich. Zudem könne vielerorts aufgrund fehlender Sportinfrastruktur kein adäquater Sportunterricht stattfinden. „Brennpunktschulen haben wir gar nicht im Blick. Da gibt es oft keine Sportstätten, aber genauso viele Talente“, so der Präsident des DSLV.
Der Misere des Fachkräftemangels begegnet man in Berlin mit einer gelungenen Kooperation zwischen Sportvereinen und Schulen. Stefan Meisel, Schulleiter einer sportbetonten Berliner Grundschule, stellte das Projekt „Profivereine machen Kita“ und „Profivereine machen Schule“ vor. Topvereine schicken ihre Übungsleiter*innen und Trainer*innen vormittags an die Schulen, die Finanzierung übernimmt die Senatsverwaltung. „So entsteht eine Win-Win-Situation zwischen Schule und Verein. Und die Logos der Profivereine wie Alba Berlin oder Hertha BSC an den Schulgebäuden sorgen für positive Schlagzeilen,“ sagte Meisel.
Für Dr. Rebecca Rienhoff, die als Lehrerin und Fachkoordinatorin an einer Eliteschule des Sports in Essen sowie am Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung tätig ist, steht fest: „Unterricht und Training sind gänzlich verschiedene Dinge, die allerdings ganz viel miteinander zu tun haben.“ Ihr Appell: „Sportunterricht an Schule und breiten- und leistungssportlich orientiertes Training sollten miteinander verzahnt sein.“ Für den Schulsport sei der Leistungssport ganz wichtig im Sinne der Identifikation und Vorbildfunktion, die für Motivation sorge. Auf der anderen Seite habe der Schulsport für den außerschulischen Sport einen hohen Stellenwert, weil er sehr wohl Zulieferer für den Vereinssport sein könne.
Letzteres sah auch Jana Kern-Ritonga, Mutter eines zehnjährigen Tennistalents, so: „An der Schule besteht die Möglichkeit, eine Vielzahl an Sportarten kennenzulernen und auszuprobieren. Das ist ein Schatz, gerade für Kinder, die nicht über ihr privates, soziales Umfeld an Sport herangeführt werden.“
„Wir müssen Wege finden, wie wir Schule, Verein und Leistungssport besser koordinieren“, meinte Detlef Mallast, der 40 Jahre lang als Lehrer tätig war. Aus eigener Erfahrung berichtete er, dass außerunterrichtlicher Schulsport und Schulsportwettbewerbe wie Jugend trainiert für Olympia & Paralympics oder die Bundesjugendspiele hier wichtige Brückenfunktionen übernehmen.
In der Diskussion wurde allerdings deutlich, dass an vielen Schulen von Seiten der Schulleitung und des Kollegiums dem Sport zu wenig Wertschätzung entgegengebracht wird und man auch in den Kultusministerien mehr Fürsprecher*innen für den Sport gewinnen muss.
Besonders groß sind die Herausforderungen im Kontext Schule-Verein für den Para Sport, erläuterte Catherine Bader, die vor 23 Jahren in Sydney Paralympics-Siegerin im Weitsprung wurde und als Leitende Landestrainerin im Behinderten Sportverband Niedersachsen e.V. arbeitet: „Uns fehlt der Zugang in die Schulen, weil wir aufgrund von Datenschutz nicht erfahren, wo inklusiv beschulte Kinder mit Behinderung sind. Wir sind eher auf Hörensagen angewiesen.“ Auf der anderen Seite fehle es nach wie vor flächendeckend an einem breiten- und leistungssportlichen Angebot auf Vereinsebene.
Sind junge Menschen noch leistungsbereit und leistungsfähig? – Kontroverse zwischen Wissenschaft und Praxis
Im Fachgespräch wurde auch der grundsätzlichen Frage nachgegangen, ob junge Menschen überhaupt noch Lust auf Leistung haben. Eine Studie aus dem Jahr 2021, die unter anderem von Prof. Dr. Nils Neuber, dem Sprecher des Forschungsverbundes Kinder- und Jugendsport NRW, durchgeführt wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass die Leistungsbereitschaft im sportlichen Umfeld zwischen 2002 und 2019 weitgehend konstant geblieben ist. Und in der repräsentativen Studie im Rahmen des dsj-Projekts Move4Health ist „besser werden“ nach „Spaß haben“ und „fit bleiben“ das drittwichtigste Motiv zum Sporttreiben unter den rund 2.000 befragten 13-17-Jährigen. Prof. Dr. Thomas Jaintner von der Technischen Universität Dortmund verwies auf Studien aus den Jahren 2020, 2021 und 2023, nach denen sich auch bezüglich der Leistungsentwicklung von Kindern und Jugendlichen keine eindeutigen positiven oder negativen Trends feststellen ließen. Die Sportpraktiker*innen hielten im Fachgespräch entgegen, dass viele Fachverbände motorische Defizite bei Kindern und Jugendlichen beklagten. Theorie und Praxis kamen hier zu keiner übereinstimmenden Einschätzung.
Wodurch wird sportliche Leistung begünstigt?
Weiterhin wurde erörtert, wodurch sich handlungs- und leistungsfähige Sportler*innen auszeichnen und in welchem Umfeld Leisten und Leistung optimalerweise stattfinden sollte. Prof. Dr. Ralf Sygusch von der Friedrich Alexander-Universität Erlangen Nürnberg skizzierte handlungs- und leistungsfähige Sportler*innen als Personen, die in der Lage sind, ihre motorischen und psychosozialen Ressourcen selbstbestimmt, reflektiert und verantwortungsvoll einzusetzen.
Neben motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten wie Technik, Taktik, Kondition und Koordination komme es unter anderem auf Selbstbewusstsein, das Aushalten von Drucksituationen, Resilienz und Emotionsregulation an, so der Sportpädagoge. Gleichsam müsse Freude am Sport empfunden und der Prozess des Leistens als gewinnbringend erachtet werden, um langfristig handlungs- und leistungsfähig zu sein.
Von entscheidender Bedeutung sei zudem die Beziehung zwischen Trainer*in und Sportler*in, die von einer leistungsorientierten, aber auch wertschätzenden und vor allem angstfreien Lernatmosphäre geprägt sein sollte. Diese Einschätzung teilte Ulla Koch, frühere Bundestrainerin der deutschen Kunstturnerinnen und vom IOC für ihr Lebenswerk als Trainerin ausgezeichnet. „Jedes Kind muss man loben“, sagte sie. Es gehe darum, Stärken zu stärken und den Athlet*innen auf Augenhöhe zu begegnen. Worauf im Umgang mit Heranwachsenden zu achten ist, erläuterte Dr. Kathrin Kohake von der Universität Münster, die zum Thema „Schutz und Förderung von Kindern und Jugendlichen im Sport“ forscht. Dabei bezog sie sich basierend auf der UN-Kinderrechtskonvention auf zwei Aspekte: „Schutz vor physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt“ und „Achtung der Meinung von Kindern“.
Aufschluss über Dropout-Gründe im Sport gab Gary Hodgson von der Leeds Beckett University, der Ergebnisse einer international angelegten Studie im Rahmen von „I coach kids“ präsentierte. Kinder nannten als häufigste Gründe, aus dem organisierten Sport auszuscheiden, die Veränderung der eigenen Interessen und die Tatsache, dass sie den Spaß am Sport verloren haben. Bei Jugendlichen ist es besonders häufig das Gefühl, nicht gut genug zu sein, und bei jungen Erwachsenen der durch Sport ausgelöste Stress. Letztgenannter Grund kommt vor allem bei Leistungssportler*innen aus Familien mit hohem Einkommen zum Tragen. Die Forschungsergebnisse könnten helfen, die Dropout-Quote zu verringern, wenn es gelänge, die Wünsche und Bedürfnisse von jungen Menschen im Training gezielter anzusprechen.
World Café lud zur Vertiefung der Gespräche ein
Neben Impulsvorträgen und dialogischem Austausch in gemeinsamer Runde wurde auch in Form eines World Café an mehreren Tischen in wechselnder Besetzung über einzelne Aspekte des Kinder- und Jugendsports diskutiert, wobei sich folgende sieben Themen im Verlauf des Fachgesprächs herauskristallisiert hatten: Para-Sport, Kinder- und Jugendsport im Verein, Sportunterricht, außerunterrichtlicher Schulsport, Nachwuchsleistungssport, Persönlichkeitsentwicklung und Wissenschaft. Die Ergebnisse dieser Diskussionsrunden wurden auf Flipcharts festgehalten.
Konstruktiver Austausch fördert Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Akteure im Kinder- und Jugendsport zutage
Als ein wesentliches Ergebnis des Fachgesprächs kann festgehalten werden, dass sich die Teilnehmenden gemeinsam hinter der von Dominic Ullrich propagierten 4B-Formel versammelten, die zudem durch einen weiteren Begriff ergänzt wurde. Gemeinsames Ziel ist es demnach, Kinder und Jugendliche zu bewegen und begeistern und damit zu bilden und zu binden. In Erweiterung der Erfolgsformel des Leichtathletik-Lehrertrainers und DLV-Vizepräsidenten wurde als fünftes B „beteiligen“ hinzugefügt.
„Gemeinsam treiben uns die fünf Bs an. Wir bewegen uns dabei in einem Kontinuum von einer weitgefassten Perspektive bis hin zu einer ganz engen, spezifischen Perspektive auf Leisten und Leistung. Daraus ergeben sich im Schul-, Breiten- und Leistungssport verschiedene Zielsetzungen im Detail,“ bilanzierte Prof. Dr. Ilka Seidel, die beim DOSB in leitender Funktion für den Leistungssport zuständig ist.
„Bei allen Unterschieden“, ergänzte Katrin Bunkus, dsj-Vorstandsmitglied und Eisschnelllauf-Olympiasiegerin von 2010, „sind sich die Teilnehmenden jedoch darüber einig, dass bei allen Konzepten und Maßnahmen stets das gesunde Aufwachsen unserer Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt unseres Handelns stehen muss.“
Dr. Antje Hoffmann, Leiterin des Fachbereichs Nachwuchsleistungssport im IAT, nimmt als positives Ergebnis des Fachgesprächs mit, „dass wir ein gemeinsames Leistungsverständnis haben“. Gleichwohl sieht sie weiteren Handlungsbedarf: „Anhand der gewonnenen Eindrücke sollten wir im nächsten Schritt präzisieren, was wir in unserem jeweiligen Setting konkret unter Leistung verstehen. Und darauf aufbauend, gemeinsam Klarheit über konkrete Ziele und unsere jeweiligen Rollen und Aufgaben im Gesamtprozess schaffen.“
Prof. Dr. Nils Neuber resümierte: „Leistung zu erbringen und etwas zu leisten, ist zunächst einmal etwas sehr Positives. Wir haben einen guten Auftakt gesetzt, um Leistung im Sport aus dieser Schmuddelecke rauszukriegen, in die sie gerade zu kommen scheint. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Kinder und Jugendliche müssen darauf vorbereitet werden. Und Sport, wenn er gut gemacht ist, kann hierzu einen wertvollen Beitrag leisten.“
Als letzter Vertreter der fünf gastgebenden Institutionen fasste Martin Schönwandt von der DSSS zusammen: „Wir wollten gemeinschaftlich über Leistung, Sport und Aufwachsen sprechen. Dabei ist deutlich geworden, wie komplex die einzelnen Rahmenbedingungen sind. Es gilt nun, die Gespräche weiter aufzuarbeiten, Fragen zu destillieren und die je eigenen Rollen zu konkretisieren. Im Kern geht es darum, die Zusammenarbeit so zu synchronisieren, dass die vorhandenen Ressourcen besser genutzt werden können. Kinder und Jugendliche im sportlichen Kontext bestmöglich zu fördern, ist und bleibt ein Gemeinschaftswerk von vielen. Mein Dank gilt allen, die an diesem Fachgespräch teilgenommen und es mit ihren Beiträgen bereichert haben.“
Einig waren sich die am Fachgespräch Beteiligten im Wunsch, den Austausch in dem gewählten Format unter Einbeziehung weiterer Akteure aus dem Kinder- und Jugendsport fortsetzen zu wollen.
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* Organisatorisch und finanziell wurde das Fachgespräch durch die Deutsche Schulsportstiftung (DSSS), den Forschungsverbund Kinder- und Jugendsport NRW, das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT), den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und die Deutsche Sportjugend (dsj) mit Unterstützung der Lindner Hotel AG und Deutschen Bahn AG ermöglicht.
** Erdmann, R. (2008). Leistungen fördern, beurteilen und beraten. In H. Lange & S. Sinning (Hrsg.), Handbuch Sportdidaktik (S. 154-171). Balingen: Spitta.